Die Neuen Auftraggeber von Penkun
Auftraggeber*innen: Holger Engelmann, Edmund Geiger, Raik Maiwald, Bernhard Riedel, Ole Schartmann
Mediator: Holger Friese
Künstlerin: Lena Henke
Zeitraum: 2018 – 2021
Partner: Kulturstiftung des Bundes
Dornröschen muss warten
Schon François Hers, der Initiator der Neuen Auftraggeber, fand: Es ist das gute Recht einer Gruppe, eine Lösung, in der sie sich nicht wiedererkennt, zu verwerfen. Auch dann, wenn eine Künstlerin getan hat, was sie konnte. Und genau das ist in Penkun passiert.
Auf den ersten Blick ist der Marktplatz von Penkun unauffällig. Wer die Mitte des 1800-Einwohner-Ortes erreicht, sieht einen überwiegend zweigeschossig umbauten Platz. Eine hohe Dornenhecke ist hier nicht zu sehen. Doch das ist der Auftrag von Penkun: Dornröschen zu befreien. Der Markt ist die schöne Königstochter und zum guten Ende des Märchens fehlt der belebende Kuss. Es geht um die Reanimation einer ziellosen städtischen Mitte.
Für unseren Marktplatz wünschen wir uns ein Kunstwerk, an dessen Entstehung alle Penkuner beteiligt sind, damit der Platz ein ähnliches Erwachen erlebt, wie es Dornröschen widerfuhr.
Denn Marktplätze heutiger Dörfer und Städte haben sich verändert. Die Menschen kaufen anderswo ein und die Mitte der Stadt ist oft nur ein Zwischenstopp. Der Auftrag soll also nicht einfach einen Platz, sondern vor allem das Verhalten seiner Nutzerinnen und Nutzer verwandeln.
Wie aber küsst man Marktplätze wach, auf deren Grüninseln bereits ausreichend Blumen blühen und die Prinzessinnen und Prinzen dennoch nur für die Dauer eines Apothekenbesuchs verweilen? Welcher Grund ließe sich schaffen, „dass die Penkuner an der Einrichtung dieses Ortes mitwirken, wie man an der Einrichtung seines Wohnzimmers mitwirkt“, wie es im Auftrag weiter heißt? Den öffentlichen Raum wie eine private Stube zu denken und doch radikal für alle zu öffnen – das ist die Herausforderung dieses Auftrags.
Mediator Holger Friese hat der Auftraggebergruppe dafür eine Spezialistin für Interventionen vorgeschlagen. Die in New York lebenden Künstlerin Lena Henke hinterlässt, wo immer sie arbeitet, hochwirksam dosierte Zeichen. Ihre Kunst will den Raum nicht unterwerfen, sondern seine Vorzeichen ändern. Mit knapp kalkulierten Eingriffen verwandelt sie offene Räume in Spannungsfelder, statt dem Publikum feste Standpunkte zu diktieren.
Lena Henke: Der Weg ins Wohnzimmer führt in Penkun durch den Garten – und nicht über den Marktplatz.
Für Penkun konzipiert sie einen „Garten für alle“ statt eines Wohnzimmers für alle. Sie folgt damit der Kleinstadtlogik, in der das wahre Leben sich immer hinter der Hecke ereignet, beim Grillen und Reden, auf dem erweiterten Wohnterritorium hinter dem Haus. Vom Sommerkino bis zum Markttag simuliert Henke den Platz als einen Ort, an dem keine Kleiderordnung gilt, sondern die Gesetze des Familienlebens: Dein Marktplatz ist dein Garten.
Zentrales Element ihres Entwurfs ist eine signalgelbe überdimensionierte Wäschespinne mit sechs Zentimeter dicken, erkletterbaren Trockensträngen. Würde man den Marktplatz mit einem solchen unübersehbaren und jedem verständlichen Zeichen von seiner Bürde befreien, eine öffentliche Arena zu sein, könnte Penkun vielleicht lieben lernen, worum es heute noch einen Bogen macht. „Der Gang hin zur Wäschespinne und der Plausch unter ihr ereignet sich in einem Zwischenraum“, wie Henke sagt, „der Mut zu neuen Begegnungen macht.“
„Uns kommt es darauf an, dass die Penkuner an der Einrichtung dieses Ortes mitwirken“, hieß es im Auftrag sehr deutlich. Künstlerin und Mediator hoffen darauf, erst einmal den Raum für die spätere Mitwirkung zu schaffen. Sie wollen niemanden überreden. Der Platz müsste gewissermaßen Geschmack und Farbe ändern. Danach käme es auf die Penkunerinnen und Penkuner an, was sie in dieser Umgebung machen.
Die fünf Auftraggeber hingegen wollten genau an diesem ureigensten Penkuner Marktplatz die Menschen bei der Hand nehmen und herausfinden, welcher Kuss sie wohl erwecken könnte nach so viel Jahren des Schlafs. Dementsprechend verblüfft sind sie über den künstlerischen Vorschlag. Erwartet hatte man einen großen, stadtweiten Dialog, die gemeinsame Arbeit vor Ort, eine Künstlerin, die flüchtige Nachbarn zum Gespräch verführt.
Es kommt, wie es eben auch kommen kann bei einem Projekt der Neuen Auftraggeber: Zum Bruch. „Wir haben nicht den Draht zu ihr gefunden“, sagt Edmund Geiger ein Jahr später, „oder sie nicht den Draht zu uns. Die Idee, die sie uns vorgetragen hat, die haben wir wirklich nicht akzeptiert!“ Es ging nicht um den Entwurf, es ging um den Anspruch der Gruppe an den Prozess der gemeinsamen Arbeit der gesamten Stadt am Kunstwerk.
Blickt die Künstlerin auf den Dialog mit der Penkuner Auftraggebergruppe zurück, sieht sie den Wunsch „nach der Einrichtung des ersehnten Wohnzimmers“ als „kompromisslosen Imperativ.“ Sie spricht von einer gescheiterten Verständigung und schaut mit Bedauern auf die Leere, die vorher und nachher an einem Ort herrscht, der noch immer weder einen Anspruch auf Zentralität noch die geforderte Privatheit einlösen kann.
Die Gruppe sieht sich trotzdem einen Schritt weiter und sucht nach einer neuen Lösung für den Marktplatz – jedoch nicht mehr als Neue Auftraggeber.